Hochgesicherte Brunnenanlagen, ein Berg neuer Baugesuche und Turnhallen, die keine Turnhallen mehr sind – was das WEF für Brunnenmeister, Behörden, und Schulkinder bedeutet.

Damit der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski bedenkenlos das Davoser Leitungswasser nutzen kann, braucht es Sicherheitsmassnahmen. Für ihn wie für die anderen hochrangigen Gäste des Weltwirtschaftsforums 2024 wird die Davoser Wasserversorgung streng überwacht. Um eine Sabotage zu verhindern, helfen Polizei und Militär mit. Ein Besuch der Anlagen, um sich selbst ein Bild zu machen, ist aus Sicherheitsgründen nicht möglich.

Mehr Sorgen bereiten dem Brunnenmeister jedoch eher alltäglichere Schadensfälle, wie er gegenüber dem Regionaljournal Graubünden im Zuge des letzten WEF erklärt hat. Dazu gehören beispielsweise umgefahrene Hydranten oder ein Wasserrohrbruch. Ein solcher direkt vor dem Kongresszentrum wäre für die Verantwortlichen der Wasserversorgung ein Worst-Case-Szenario. 

Auch sonst herrscht Ausnahmezustand in, um und über Davos. Eine kurze Zusammenfassung in Zahlen aus dem Vorjahr:

Über die Baugesuche wurde im Gegensatz zu den zahlreichen Gästen oder dem Armeeeinsatz eher selten berichtet. Die grosse Anzahl an Gesuchen erklärt sich dadurch, dass es für jede Änderung eine Eingabe braucht. Also für temporäre Bauten oder Fassadenwerbungen sowie für die Umnutzung von Läden und Restaurants. In denen findet man während des WEF beispielsweise IT-Firmen oder Tourismusorganisationen aus dem Ausland. 

Insgesamt entstehen für die Arbeiten rund um das WEF Kosten von einer halben Million Franken. Dazu gehört auch die gesamte Planung für Auf- und Abbau oder auch für Sicherheitspersonal. Bezahlt wird dies alles von den Firmen selbst. 

Diese Umbauarbeiten sind für Jules nichts anderes als ein «riesiges Durcheinander». Und auch die Verkehrssituation ist für den Primarschüler und seine Klasse eine Herausforderung in diesen Tagen: Da sind plötzlich Strassen abgeriegelt und der Schulweg verläuft nicht mehr wie gewohnt. «Das finde ich blöd», meint Lea und sagt: «Jetzt muss ich der Hauptstrasse entlang gehen, wo es zudem noch gefährlich ist.» 

Andererseits fällt der Turnunterricht aus, da die Halle für das WEF genutzt wird. Und das finden die Kinder «cool». Auch dass es stattdessen gleich drei Tage auf die Skipiste geht. 

Davos im Ausnahmezustand

Ist das WEF den ganzen Aufwand wert?

Wie der "Davos Man" den Kapitalismus gekapert hat

Der Journalist Peter Goodman, Autor des Buches "Davos Man", argumentiert, dass die Milliardäre, die sich in den Alpen zum jährlichen Treffen des Weltwirtschaftsforums versammeln, eine "eigene Spezies" sind, die so mächtig geworden sind, dass sie die Regeln für den Rest von uns schreiben.

Der Begriff "Davos Man" wurde vom Politikwissenschaftler Samuel Huntington geprägt, der ihn erstmals 2004 in einem Aufsatz verwendete, in dem er Menschen beschrieb, die durch die Globalisierung so reich geworden sind, dass sie praktisch ohne Loyalität zu einer bestimmten Nation leben. Er bezog sich damit direkt auf alle, die regelmässig nach Davos reisen, um am jährlichen Weltwirtschaftsforum (WEF) teilzunehmen.

Der Begriff hat sich seitdem zu einem Sammelbegriff entwickelt, der von Journalisten wie Goodman verwendet wird, um diejenigen zu bezeichnen, die in der "Stratosphäre der weltumspannenden Klasse" der Milliardäre leben.

SWI swissinfo.ch sprach mit Goodman während des Jahrestreffens des Weltwirtschaftsforums 2022.

SWI: Sie waren bereits zehn Mal beim WEF. Was bringt Sie dazu, immer wieder zu kommen?

Peter Goodman (P.G.): Es ist eigentlich eine sehr interessante Erfahrung, wenn man sich vor Augen hält, dass man Journalist ist und sich nicht an die gesellschaftlich auferlegten Regeln halten muss. Man kann die Menschen aus nächster Nähe beobachten, was bei so mächtigen und wohlhabenden Menschen normalerweise nicht möglich ist. Der Teil, der schwer zu ertragen ist, ist die Verpackung, dass "sie sich für die Verbesserung des Zustands der Welt einsetzen", als ob eine Versammlung der ultimativen Nutzniesser des Status quo irgendwie dazu führen würde.

P.G.: Ich denke, die wichtigste Errungenschaft des WEF ist, dass es den Milliardären, die weiterhin eine Agenda der Steuersenkung, der Deregulierung und der Öffentlichkeitsarbeit verfolgen, eine Möglichkeit gegeben hat, der Welt zu signalisieren, dass sie es verstanden haben, dass sie die Probleme der wirtschaftlichen Ungleichheit und des Klimawandels verstehen. Und sie sind wirklich entschlossen, etwas dagegen zu tun.

Für das WEF arbeiten sehr viele hochintelligente, bedachte und fähige Menschen. Sie geben Berichte heraus, die wichtig sind. Viele der Podiumsdiskussionen selbst greifen wichtige Themen auf. Aber machen wir uns nichts vor. Letztlich handelt es sich um eine gemeinnützige Organisation, ein äusserst erfolgreiches Unternehmen, das von Klaus und Hilda Schwab geleitet wird. Wir wissen nicht, wohin das Geld fliesst.

SWI: In Ihrem Buch machen Sie Milliardäre für viele unserer Probleme verantwortlich. Handelt es sich dabei wirklich nur um ein paar faule Äpfel oder ist es eher ein systemisches Problem?

P.G.: Das ist ein systemisches Problem. Ich hätte dieses Buch schreiben können, indem ich 20 andere Figuren ausgewählt hätte. Ich habe die fünf ausgewählt, die ich für die überzeugendsten hielt. Das sind wichtige Akteure. Es ist nicht so, dass ich mir nur ein paar Übeltäter ausgesucht hätte. Steve Schwarzman ist der grösste Private-Equity-Magnat der Welt und besitzt erstaunliche Mengen an Immobilien in aller Welt. Larry Fink ist der grösste Vermögensverwalter der Welt. Sein Unternehmen, BlackRock, verwaltet Anlagen im Wert von 10 Billionen Dollar. Der Einfluss ist enorm. Jeff Bezos muss nicht vorgestellt werden.

Marc Benioff ist ein sehr bedeutender Akteur der Technologiebranche im Silicon Valley und derjenige, der sich am lautesten für den Stakeholder-Kapitalismus einsetzt. Ich denke, dass er sich der Philanthropie verschrieben hat und an das Ethos des Forums glaubt. Doch obwohl er sich als Verfechter des menschlichen Fortschritts präsentiert, ist er letztlich ein Ermöglicher des Status quo, und genau das ist das Forum auch. Es unterstützt den Status quo unter dem Deckmantel der Veränderung.

SWI: Alle diese Beispiele stammen aus den Vereinigten Staaten. Glauben Sie, dass dies, insbesondere die wachsende Macht der Milliardärsklasse, ein amerikanisches Phänomen ist?

P.G.: Das ist nicht typisch amerikanisch. Vielleicht ist es zu extrem. Aber schauen Sie sich Frankreich an, wo Emmanuel Macron, der ein Mann aus Davos ist, ins Amt kommt, finanziert von einer Reihe von Milliardären, darunter sein Freund Bernard Arnault, mit der Mission, die Vermögenssteuern zu senken oder abzuschaffen. Er tritt als Transformationsagent an, der die Chancen in Frankreich verbessern und diese verknöcherte, unternehmensfeindliche, übermässig bürokratische Gesellschaft mit hoher Arbeitslosigkeit aufrütteln und modernisieren wird. Und als Erstes senkt er die Vermögenssteuern und erhöht dann die Benzinsteuern, sehr zum Leidwesen der meisten Menschen, die ausserhalb der Grossstädte leben und ihr Auto brauchen, um ans Ziel zu kommen. Das Ergebnis ist die "Gelbwesten"-Bewegung und eine Welle der Unterstützung für Marine Le Pens extreme, einwanderungsfeindliche Bewegung.

Dies mag in den USA begonnen haben und auf Milton Friedman und seine Theorie der Shareholder-Maximierung als Organisationsprinzip des Wirtschaftslebens zurückgehen. Aber es wurde dann in die ganze Welt exportiert.

Die globale Elite, deren Reichtum für den Rest von uns nur schwer vorstellbar ist, hat eine Reihe von Interessen geschaffen, die sich von denen der anderen unterscheiden. Und das ist letztlich der Grund, warum ich das Konzept des Davos Man als eine eigene Spezies entwickelt habe, denn diese Milliardäre, die mächtig genug sind, um die Regeln zu schreiben, leben im Grunde genommen in einer anderen Realität als der Rest von uns.

SWI: Sehen Sie die Rolle der Schweiz bei der Entstehung des Davos Man in irgendeiner Weise als bedeutend an?

P.G.: Das Element der Geheimhaltung, als inhärenter Teil der Geschäftstätigkeit, ist sicherlich von Bedeutung. Die Tatsache, dass die Schweiz seit Generationen ein Ort ist, an dem reiche Leute auftauchen können, ohne Fragen zu stellen, ihre Geschäfte abwickeln und eine hochkompetente Bürokratie vorfinden, die ihre Geheimnisse schützt, um Geld zu verschieben - ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist.

Es ist kein Zufall, dass diese Non-Profit-Organisation, die in Wirklichkeit ein sehr erfolgreiches Unternehmen ist, in einem Land gefördert wird, das die Geheimhaltung als komparativen Vorteil darstellt.

Matthias Hug

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SWI: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Pandemie "das ganze Ausmass des unersättlichen Appetits des Davos Man" offenbart hat. Wie kommt das?

P.G.: Die Situation mit den Impfstoffen ist noch schlimmer, als ich es mir beim Schreiben des Buches vorgestellt habe. Wir subventionieren effektiv die Monopolgewinne von Davos Men für diese Handvoll Impfstoffe, für die wir dankbar sind, durch die Aufrechterhaltung der Pandemie. Warum reden wir immer noch über all diese Varianten? Nun, der grösste Teil der Menschheit hat diese Impfstoffe nicht. Warum ist das so?

Denn die Verantwortlichen sagten, der Markt werde sich schon darum kümmern und die gut gemeinte Pharmaindustrie werde die Menschheit schützen. Und sie hat völlig versagt. Wir haben die Impfstoffe so verteilt, dass die Aktionäre von Moderna und Pfizer so viel wie möglich bekommen. Und das Ergebnis ist, dass wir, wenn wir das Glück haben, in Ländern wie den USA oder der Schweiz zu leben, jede Menge Impfstoffe bekommen. Aber in Pakistan, wo es noch Ärzte gibt, die das medizinische Personal an vorderster Front behandeln, ist das nicht der Fall.

SWI: Sie haben das Buch im Januar 2022 veröffentlicht, etwa einen Monat vor dem Ukraine-Krieg. Wenn Sie jetzt (im Mai 2022) ein weiteres Kapitel schreiben würden, was würden Sie schreiben?

P.G.: Wenn ich noch an dem Buch arbeiten würde, würde ich über diese Sanktionen schreiben, die in der Art und Weise, wie Europa sich hinter sie gestellt hat, unglaublich sind. Aber wir sollten nicht vergessen, dass die Sanktionen für Private Equity effektiv ausgenommen sind. Ich habe gerade mit dem Finger auf die Schweiz gezeigt, aber die USA sind das ultimative Offshore-Bankenzentrum, weil Davos Men davon profitiert, dass Private Equity nicht den gleichen Transparenzanforderungen unterliegt wie das normale Bankensystem. In meinem Buch geht es darum, dass dies kein Zufall ist. Es ist die unmittelbare Folge der Finanzdienstleistungslobby und insbesondere der Private-Equity-Branche, die erkannt hat, dass je mehr Geheimhaltung herrscht, desto mehr Geld fliesst.

Gehen wir davon aus, dass die Ausübung von Druck auf russische Oligarchen Putin tatsächlich beeinflussen wird, so üben wir nicht einmal den vollen Druck auf Oligarchen aus, weil wir unsere eigenen Oligarchen schützen.

SWI: Was sollte das WEF Ihrer Meinung nach anders machen?

P.G.: In Davos werden die richtigen Worte gefunden. Das ist nicht der Punkt. Letztlich geht es nicht um den Reichtum in Davos. Es geht um den Rest von uns. Die Menschen in den demokratischen Gesellschaften müssen sich von der Vorstellung verabschieden, dass wir die Lösung unserer Probleme bei diesen guten Milliardären suchen können. Unsere Probleme werden erst dann gelöst, wenn wir Dinge wie eine progressive Besteuerung, die Durchsetzung des Kartellrechts und die Mobilisierung der Arbeitnehmer fordern, damit diese einen Teil des Geschehens miterleben können. Es geht nicht darum, die Milliardäre zu reformieren.

"Treffen einer Spezies, die die Regeln macht"

"Beim WEF geht es nicht darum, Probleme zu lösen, sondern sie zu identifizieren"

Sandro Bucher

https://pilot-prod-videos.s3.eu-west-1.amazonaws.com/de/fat-linen-sturgeon_fr_DEEPGRAM-WHISPER.vtt

Neben anderen Schweizer Wirtschaftsgrössen wird auch IT-Unternehmer André Kudelski dieses Jahr am WEF teilnehmen. RTS hat mit ihm nach der letztjährigen Ausgabe des Weltwirtschaftsforums über Sinn und Zweck des Treffens geredet. 

Seit 30 Jahren ist André Kudelski als Tech-Unternehmer tätig und präsidiert zudem "Innosuisse", die Agentur  für Innovationsförderung des Bundes. Auch gehört sein Konzern zu den 100 strategischen Partnerunternehmen des WEF. Er bezeichnet das Forum als höchst interessanten Gradmesser für die Interessen der grossen Industrieländer. Fakt ist: In ihrem Streben nach Multilateralismus scheinen die reichsten Länder in letzter Zeit auf der Stelle zu treten.

"Wir sehen derzeit verschiedene Arten von Initiativen für eine stärkere lokale Produktion oder das sogenannte Friend-shoring - also Dinge in verbündeten Ländern produzieren zu lassen - was kein multilaterales System ist". Das sagte Kudelski gegenüber der RTS-Sendung "La Matinal". Das schwindende Interesse am multilateralen System seitens der reichen Länder spielt den Ländern des Südens in die Hände, die "einen grossen Durst nach multilateraler Zusammenarbeit" haben, so der Unternehmer.

Das WEF in Davos ist als Kompass, als funktionales Instrument zu verstehen, erklärt der Waadtländer. Es ist für das Ökosystem der Regierungen, der Wirtschaft, der Medien und auch einiger Nichtregierungsorganisationen gedacht und ermöglicht uns, Trends zu erkennen und Herausforderungen zu identifizieren. Für André Kudelski besteht die Mission des Weltwirtschaftsforums nicht darin, Probleme zu lösen, sondern sie zu identifizieren.

Von der Schweiz und von Europa aus gesehen, ist der Krieg in der Ukraine extrem wichtig. Aber er wird von den Ländern des Südens, die sich sehr ungerecht behandelt fühlen, nicht auf die gleiche Weise wahrgenommen.

"Was ich 2023 feststellen konnte, ist ein grosses Problem zwischen Nord und Süd. Von der Schweiz und von Europa aus gesehen, ist der Krieg in der Ukraine sehr wichtig, es geht dabei insbesondere auch um Solidarität. Dies wird jedoch von den Ländern des Südens, die sich sehr ungerecht behandelt fühlen, nicht in gleicher Weise wahrgenommen", sagt er.

Von manchen wird das WEF als Gipfel verspottet, auf dem "Milliardäre kommen, um den Millionären zu sagen, wie es der Mittelschicht geht". Jedoch scheint es seine Langlebigkeit paradoxerweise der Fähigkeit zu verdanken, sich zu verändern: "Über zehn Jahre hinweg ist die Entwicklung sehr signifikant. Es fällt auf, dass immer mehr Unternehmen nach Davos kommen. Der Ort wird immer mehr zu einem Ökosystem, in dem viele Dinge parallel laufen und sich nicht alles nur Kongresszentrum abspielt", sagt André Kudelski.

Der positivste Aspekt des Treffens seien die zahlreichen Dialoge gewesen, so der Unternehmer, der sich persönlich für viele der vom WEF ausgehenden Initiativen engagiert. "Dies ist ein sehr wichtiger Ort für den Multilateralismus. Und wenn wir heute sehen, dass es eine gewisse Krise des Multilateralismus gibt, dann bedeutet das jedoch nicht, dass es sich um eine Krise des WEF handelt, sondern eine des gesamten Ökosystems."

"Am WEF geht es darum, Probleme zu erkennen"

Finden Sie heraus, wo Sie stehen

PODCAST - Ein Spaziergang durch die weniger konventionellen und sichtbaren Orte des Weltwirtschaftsforums

Marco Morell

https://pilot-prod-videos.s3.eu-west-1.amazonaws.com/de/ministerial-emerald-iguana_it_DEEPGRAM-WHISPER.vtt

Die Berichterstattung über das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos erfolgt oft von der Hauptbühne des Bündner Kongresszentrums oder aus den Räumen der sogenannten "Panels". In dieser Folge unseres ausführlichen Podcasts "Die Welt da draussen" begeben wir uns stattdessen an die weniger konventionellen Veranstaltungsorte des Forums, die aber den sogenannten "Geist von Davos" am besten widerspiegeln. Ein Kaffee in der "Central Lounge", ein Besuch im "Media Village" und einer im "Open Forum", um die Versammlung der Mächtigen im Herzen Graubündens kritisch zu reflektieren.

Hinter den Kulissen des WEF

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