Die Schweiz will das Klima retten, wendet sich aber von den Grünen ab

Marco Morell

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Vier Jahre nach ihrem historischen Erfolg haben die Grünen bei den Bundestagswahlen am Sonntag eine schwere Niederlage erlitten. In den Augen der Öffentlichkeit ist der Klimawandel nach wie vor eine der größten Herausforderungen für die Schweiz. Analyse eines Wahlparadoxons.

Am Sonntag schlug die grüne Welle heftig gegen die Wahlurnen. Der Rückfluss ist fast so brutal wie die Flutwelle von 2019. Die Grüne Partei der Schweiz verlor fast vier Prozentpunkte ihres nationalen Wähleranteils. Sie fiel unter die 10 %-Marke und verlor fünf ihrer 28 Sitze im Nationalrat.

Vor vier Jahren ermöglichte die Debatte über den Klimawandel - ein Lieblingsthema der Ökologen - den Grünen die Eroberung neuer Territorien, auch außerhalb der großen Ballungsräume. Seitdem ist das Klima ein wichtiges Anliegen der Bevölkerung geblieben, wie alle Meinungsumfragen belegen.

Ein ernstes Problem, das angegangen werden muss

Die grosse SRG-Umfrage "Wie geht's der Schweiz?", die das Institut gfs.bern im letzten Frühjahr bei über 50'000 Personen in der Schweiz durchgeführt hat, zeigt zum Beispiel, dass mehr als zwei Drittel der Einwohnerinnen und Einwohner der Meinung sind, dass der Klimawandel "ein ernstes Problem (ist), das so schnell wie möglich angegangen werden muss".

Ebenso sind mehr als sieben von zehn Befragten der Meinung, dass die Schweiz Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels ergreifen sollte, "auch wenn die Länder mit den höchsten CO2-Emissionen keinen Beitrag zu den gemeinsamen Anstrengungen leisten". Auf den ersten Blick dürfte dies den Ambitionen der Grünen Auftrieb geben.

Wie lässt sich also das Wahldebakel vom vergangenen Wochenende erklären? Die Resignation vor der Klimakrise hat wahrscheinlich eine Rolle gespielt. Für über 70% der Befragten wird die Schweizer Politik "nicht genug tun können", um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Ein Fatalismus, der die Mobilisierung der ökologischen Wählerschaft erschwert haben könnte.

Gleichzeitig haben auch die anderen Parteien beschlossen, das Klimaproblem anzugehen, so dass das Feld allein den Umweltschützern überlassen bleibt. Zudem ist der Klimawandel laut den jüngsten SRG-Wahlbarometern nicht mehr die Hauptsorge der Bevölkerung. Vor dem Hintergrund allgemeiner Preiserhöhungen wurde sie in diesem Sommer von den Krankenversicherungsprämien, dem Lieblingskampffeld der SP, überholt. Im vergangenen Jahr hat auch das Lieblingsthema der SVP, die Zuwanderung, an Bedeutung gewonnen.

Einwanderung, Gesundheitskosten und Inflation haben die politische Agenda in den letzten Monaten weitgehend beherrscht und die Debatte über den Klimawandel in den Hintergrund gedrängt. Die Sozialdemokraten und die Zentrumsdemokraten nutzten diese günstigen Strömungen, um Wahlerfolge zu erzielen, während die Grünen mit Gegenwind zu kämpfen hatten.

Eine weit verbreitete Enttäuschung mit vielfältigen Ursachen

Abgesehen von der mangelnden Mobilisierung der Basis und der Schwierigkeit, das Klimathema durchzusetzen, was sind die Gründe für die Enttäuschung der Wählerschaft über die Ökologen? Um das Wahre vom Falschen zu trennen, hat das Sotomo-Institut die Frage an die ersten Betroffenen gestellt, die vor vier Jahren für die Grünen gestimmt und ihnen nun den Rücken gekehrt haben.

Was die politische Ausrichtung betrifft, so sind die am häufigsten genannten Ursachen für die Unzufriedenheit die Krankenversicherungsprämien, der Klimawandel und das europäische Dossier. Sie werden von etwa einem von fünf unzufriedenen Wählern wiederholt. Der gleiche Anteil gibt kein bestimmtes Thema an. In der Tat gibt es keinen einzigen wichtigen Grund, warum die Grünen weggezogen sind.

Als Auslöser für die Entscheidung, die Partei zu wechseln, werden häufig die Aktionen von "Klimaklebern" (27%) und die Gender- und Wokismusdebatte (26%) genannt, aber auch die Polarisierung der politischen Debatten (25%). Am häufigsten wird jedoch genannt, dass die Entscheidung nicht mit einem aktuellen Ereignis zusammenhängt (30 %).

Klima retten ja, aber Grüne wählen nein

Die SVP hat aufs richtige Wahlkampfpferd gesetzt

Das Polit-Pendel schlägt wieder nach rechts aus: Die Zuwanderung war das Top-Thema, das die Menschen an die Wahlurne trieb.

Am Sonntag ist die Schweiz nach rechts gerückt. Aber wie war dieser «konservative Rutsch» nach dem Grünrutsch von 2019 möglich, welche Wählerschichten strömten an die Urne und welche Themen waren es, die sie am meisten bewegten? Ebendiese Fragen beantwortet die SRG-Nachwahlbefragung, durchgeführt von der Forschungsstelle Sotomo. 

Politologin Sarah Bütikofer gibt eine Haupterkenntnis wieder: «Zum einen hat die SVP ihre angestammte Wählerschaft sehr gut mobilisieren können. Zum anderen konnte sie quer durch die politischen Lager neue Wählerinnen und Wähler gewinnen.»

Und das auch, weil das wichtigste Thema für den Wahlentscheid die Migration war, die die SVP ins Zentrum ihrer Kampagne gerückt hatte. «In diesem Jahr hat die SVP in erster Linie mit der Furcht vor der Zehn-Millionen-Schweiz Wahlkampf betrieben», sagt Bütikofer. Für drei Viertel der SVP-Wählerschaft war dies auch der Grund, der Partei ihre Stimme zu geben.

Dass das Zuwanderungsthema derart mobilisierte, erstaunt insofern, als die Krankenkassenprämien von 52 Prozent der Befragten als grösste politische Herausforderung betrachtet werden – noch vor dem Klimawandel mit 36 Prozent und der Zuwanderung mit 35 Prozent. 

Die SP und die Grünen fischen seit geraumer Zeit im gleichen Teich.

Gleichwohl konnte auch die SP davon profitieren, dass soziale Themen im Vergleich zu den letzten Wahlen verstärkt in den Fokus gerückt sind: So konnte die SP durch die Abwanderung bei den Grünen zwei Prozentpunkte dazugewinnen. «Die beiden Parteien fischen seit geraumer Zeit im gleichen Teich», erklärt die Politologin. «Je nach Themenkonjunktur entfallen die Stimmen aus dem linken Lager eher auf die Grünen oder eher auf die SP.»

Klimaschutz kein grünes Alleinstellungsmerkmal mehr

Allerdings: Am Sonntag ist es der SP nicht gelungen, die grossen Verluste der Grünen voll und ganz zu kompensieren. Und die Sozialdemokraten haben auch Stimmen an die Mitte (-0.4) und die SVP (-0.5) Prozent verloren. Die Mitte konnte Stimmen von links und liberal gewinnen, verlor aber auch 0.7 Prozentpunkte an die SVP.

Mehr als die Hälfte der Verluste der Grünen gehen Richtung SP. Die Grünen haben jedoch auch an die SVP, die GLP und die Mitte verloren. Im Vergleich zu 2019 haben die Grünen auch eine Demobilisierung erfahren. Und: Der Klimaschutz ist für die Wahl der Grünen zwar absolut zentral. Allerdings geben auch viele SP-Wählende an, dass sie die Partei aus diesem Grund gewählt haben – ein Alleinstellungsmerkmal ist der Klimaschutz für die Grünen nicht mehr.

Die Themenkonjunktur spielte auch der «Wirtschaftspartei» FDP nicht in die Hände. Denn wirtschaftsliberale Themen wie die Reform der Altersvorsorge, Steuern und Wirtschaft sowie Wettbewerb haben für die Befragten an Bedeutung verloren.

Mit Blick auf die Altersstruktur fällt auf, dass die SVP bei diesen Wahlen am meisten Wählende mittleren Alters (46 bis 65) gewonnen hat. Die Mitte und die FDP wurden am häufigsten von Wählenden im Pensionsalter gewählt, die Grünen sprechen deutlich mehr junge als ältere Personen an. Am meisten junge Wählende konnte die SP überzeugen.

Die SVP konnte bei Personen mit tieferer Bildung deutlich besser punkten als bei Hochgebildeten. Den grössten Gegensatz dazu bildet die Grüne Partei, deren Wählerschaft mehrheitlich tertiär ausgebildet ist.

Die FDP ist die Partei, die vorwiegend von sehr gut verdienenden Personen gewählt wird. Die SVP spricht gut und sehr gut verdienende Personen ebenfalls an, wird aber am häufigsten von wenig Verdienenden gewählt.

In der Nachwahlbefragung wurde auch bereits auf die kommende Legislatur geblickt. Dann wird sich zeigen, wie sich der  «Rechtsrutsch ohne rechte Mehrheit»  politisch manifestiert. Denn: Die Rechtsparteien verfehlen eine absolute Mehrheit im Nationalrat und gerade die Mitte-Partei wird zur Mehrheitsbeschafferin für links und rechts.

Fazit: In den kommenden vier Jahren wünschen sich die Befragten allem voran griffige Massnahmen gegen die stetig steigenden Gesundheitskosten. Denn die Krankenkassenprämien drücken den Menschen ebenso aufs Gemüt wie auf den Geldbeutel. 

Wer wie mobilisiert hat

Sind Sie noch der richtige Grünen-Präsident, Herr Glättli?

Nach dem Höhenflug bei den Wahlen von 2019 mussten die Grünen am Wochenende einen herben Verlust einstecken. Ob die Ambition, einen Sitz im Bundesrat zu erhalten, weiterverfolgt wird, lässt sich Parteipräsident Balthasar Glättli nicht entlocken.

SRF News: Ein Minus von fast vier Prozent. Die Grünen fallen damit unter die Zehn-Prozent-Marke. Wie sehr schmerzt Sie das heute Morgen?

Balthasar Glättli: Es schmerzt mehr als gestern. Ich konnte mich gestern ein bisschen entspannen, als feststand, dass wir das zweitbeste Resultat unserer Geschichte erreicht haben. Das wird die Kräfteverhältnisse der nächsten vier Jahre prägen. Wir sind mit drei Sitzen bereits wieder sicher im Ständerat verankert. Und wir durften ganz zum Schluss sogar feststellen, dass es nur fünf Sitzverluste statt – wie zwischenzeitlich prognostiziert – sieben sind. 

Meine persönliche Vermutung – ohne Datengrundlage – ist, dass es immer mehr Menschen gibt, die denken, die Klimakrise sei schon so weit fortgeschritten, dass man nichts mehr machen könne – dass eine gewisse Resignation herrscht.

Emotional frustriert es mich, dass es nicht gelungen ist, besser abzuschneiden. Zwar ist der Rechtsrutsch im Nationalrat weniger stark, als man das 2015 erlebt hat. Dass der Ständerat wie in der Legislatur 2015 bis 2019 die progressivere und vor allem die sozialere Kammer ist, ist nicht zu erwarten, obwohl es noch viele Nachwahlen gibt. 

Warum konnten Sie die Wahlberechtigten nicht überzeugen, dass die Schweiz eine grüne Politik braucht?

Wir werden schauen müssen, ob wir an Nicht-Wählende oder an unsere Konkurrenz im rot-grünen Lager verloren haben. Das wird für die Beantwortung dieser Frage entscheidend sein. Meine persönliche Vermutung – ohne Datengrundlage – ist, dass es immer mehr Menschen gibt, die denken, die Klimakrise sei schon so weit fortgeschritten, dass man nichts mehr machen könne – dass eine gewisse Resignation herrscht. Ich hoffe nicht, dass es das ist. Es gibt ganz viele Punkte, an denen müssen und können wir noch arbeiten, und dies werden wir auf jeden Fall tun. Wir sind in der zweitgrössten Fraktion, mit einem doch grossen Gewicht in der grossen Kammer.
                 

Zu den Bundesratsambitionen der Grünen: Eigentlich können Sie diesen Entscheid heute schon fällen?

Wir fällen solche Entscheide nicht einsam, quasi am Stehpult des Radios als präsidiales Dekret. Wir sind eine ganze Fraktion. Was man allerdings sagen kann, es ist ja offensichtlich: Dieses Resultat ist kein Booster für unsere Bundesratsambitionen. 

Es stellt sich automatisch auch die Frage nach dem Parteipräsidenten. Sind Sie noch der richtige Präsident für die Grünen, Balthasar Glättli?

Das ist eine Frage, die man sinnvollerweise nicht ganz alleine entscheidet. Man muss nicht für sich der richtige Präsident sein, sondern für seine Parteikolleginnen und Parteikollegen. 

Wir werden darüber sprechen müssen, was die richtige Zusammensetzung des Teams in Zukunft ist.

Wir werden zusammensitzen und diese Wahl vertieft analysieren. Wenn dann alle Zahlen und auch die Rückmeldungen aus den Kantonen – die speziellen Analysen – vorliegen, wird man auch sehen, wie die anderen Parteien wo und warum abgeschnitten haben. Wir werden darüber sprechen müssen, was die richtige Zusammensetzung des Teams in Zukunft ist. 

Was lief falsch, Herr Glättli?

Ist der Zenit der Grünen überschritten?

Rechts geht die Romandie im Gleichschritt mit der Deutschschweiz

« À droite de l’UDC, il n’y a plus que le mur » – rechts von der SVP, da ist nur noch die Wand. Dieses Bonmot hört man immer wieder in politischen Debatten in der Romandie. Der Spruch ist bitterbös und zeigt die lange verbreitete hiesige Sicht auf die SVP: Diese galt als zu rechts und absolut unwählbar. 

Und doch hat die SVP jetzt mehr Nationalratssitze in der Westschweiz als die FDP: Zwölf Sitze für die SVP in Genf, der Waadt, Neuenburg, Jura, Freiburg und im Wallis. Neun für die FDP. Das ist bemerkenswert. Denn die EWR-Abstimmung 1992, die in der Deutschschweiz die Geburtsstunde für den steilen Aufstieg der SVP war, ist ein politisches Trauma in der Westschweiz. Diese hatte mit den beiden Basel geschlossen für den Beitritt gestimmt und war überstimmt worden. Wegen der SVP. 

«Les Nein-Sager» werden seither die Deutschschweizer in der Satire genannt. Wegen der SVP und der EWR-Abstimmung. Und nun legt genau diese SVP überall in der Romandie an Wähleranteilen zu und macht der FDP ihre traditionelle Vormachtstellung streitig. 

Die FDP hat sich in den grössten Westschweizer Kantonen verrechnet. In der Waadt ging sie eine Allianz mit der SVP ein. Die Folge: Die SVP gewann einen Sitz, die FDP verlor einen. Und die Mitte gewann ebenfalls einen Sitz. Sie hatte bei der «Alliance Vaudoise» nicht mehr mitgemacht, obwohl genau diese Allianz der Mittepartei bei den letzten kantonalen Wahlen Valérie Dittli zur Wahl in die Regierung verholfen hatte. In Genf ging die FDP eine Allianz mit der SVP, dem MCG und der Mitte ein. Die Folge: Das MCG gewann zwei Sitze. Die FDP nichts. Auch im Jura spannten FDP und SVP zusammen. Die SVP gewann einen Sitz im Nationalrat. Die FDP wieder nichts.

Stille Verliererin der Wahlen in der Romandie ist die FDP auch deshalb, weil ihr Neuenburger Ständerat Philippe Bauer abgewählt wurde. Ausgerechnet im letzten Kanton, in dem die FDP allein die Mehrheit in der fünfköpfigen Regierung stellt. In der Waadt steht dem FDP-Kandidaten Pascal Broulis ein schwieriger zweiter Wahlgang gegen die versammelte Linke hinter dem Grünen Kandidaten bevor. In Genf darf die FDP gar nicht mehr mittun im zweiten Wahlgang.

Die Mitte kann sich in der Romandie halten. Aber die GLP hat dort nur noch einen statt drei Nationalratssitze und keine starken Figuren mehr.

Links der Mitte verlieren die Grünen, die 2019 von der fast doppelt so starken Grünen Welle in der Romandie profitiert hatten. Sie verlieren in der Waadt und in Genf massiv Wähleranteile, können den Schaden aber bei den Sitzen in Grenzen halten: Minus ein Sitz im Nationalrat im Kanton Waadt und Genf. Die SP gewinnt, aber nicht genug, um die Verluste der Grünen auszugleichen. 

Die Grünen zahlen auch den Preis dafür, dass in der Romandie die Klimaproteste besonders stark waren. Es gab nicht nur die sogenannten Klimakleber, sondern ganze Golfplätze wurden zu Kartoffelfeldern umgeackert. Das brachte die Partei in eine unmögliche Situation: Sich abgrenzen vergrault eine potenzielle Wählerschaft. Sich nicht zu distanzieren hatte wohl den Verlust gemässigter Wählerinnen und Wähler zur Folge. Die SP hingegen schaffte, was der FDP nicht gelang: Klar die stärkste Kraft in ihrem Lager zu bleiben. 

Trotz der Verluste der Grünen bleibt das linke Lager in der Westschweiz stärker als in der Deutschschweiz. Links tickt die Westschweiz weiterhin anders. Rechts ist sie immer mehr im Gleichschritt mit der Deutschschweiz.

Von grüner Welle keine Spur mehr

Die Grünen mussten auch in der Fünften Schweiz Federn lassen

Auch in der schweizerischen Diaspora ist die Stimmabgabe für die Grünen bei den eidgenössischen Wahlen 2023 eingebrochen, hauptsächlich zugunsten der SP. Hingegen ist der starke Zuwachs der SVP bei den Stimmen der Schweizer Wählerschaft im Ausland nicht zu beobachten. Es wurde zudem kein:e Auslandschweizer:in in den Nationalrat gewählt.

Die grüne Welle, die die Parlamentswahlen 2019 geprägt hatte, gehört der Vergangenheit an. Auf nationaler Ebene mussten die grünen Parteien eine regelrechte Ohrfeige hinnehmen.

Mit 9,8% der Stimmen fielen die Grünen um 3,4 Prozentpunkte zurück und verloren fünf Sitze im Nationalrat. Nur die andere grüne Partei, die Grünliberale Partei, rutschte bei den Mandaten noch weiter ab (-6 Sitze und ein Rückgang des Wähleranteils um 0,2 Punkte auf 7,6%).

Auch die im Ausland lebenden Schweizer:innen wählten in diesem Jahr massiv weniger für die Grünen: In allen zwölf Kantonen, die separate Statistiken zur Diaspora-Stimmabgabe liefern, verliert die Grüne Partei 5,4 Prozentpunkte ihres Wähleranteils und fällt von der stärksten Partei 2019 (mit 23,8% der Stimmen) auf den dritten Platz in diesem Jahr (mit 18,4%).

Obwohl die Fünfte Schweiz traditionell eher klimafreundlicher wählt als der Rest der Schweiz, verzeichnen die Grünen also einen Rückgang der Stimmen. Dies hat laut Martina Mousson, Politologin des Instituts gfs.bern, genau wie in der Schweiz mit der aktuellen Themenlage zu tun.

Diese sei bei diesen Wahlen grundlegend anders gewesen als vor vier Jahren. "Obwohl das Klimathema immer noch eine der Hauptsorgen ist, war es offensichtlich kein wahlrelevantes Thema. Es wurde von anderen Themen überlagert", so Mousson. Sie nennt globale Themen wie der Ukraine-Krieg, die Wirtschaftslage, die Konjunktur, die Teuerung. "Davon ist nicht nur die Schweiz betroffen", sagt die Politologin.

Breite Unterstützung der SP in der Diaspora

Auf nationaler Ebene verzeichnete die Sozialdemokratische Partei nach der SVP den zweitgrössten Zuwachs (+1,5 Prozentpunkte auf 18,3% der Wähler:innenstimmen). Im Ausland konnte sie am deutlichsten zulegen (+2,8 Prozentpunkte von 17,6% auf 20,4% Wähler:innenanteil).

Die wichtigste Veränderung im Wahlverhalten der Auslandschweizer:innen im Jahr 2023 scheint also eine Verschiebung der Stimmen von den Grünen zu den Sozialdemokrat:innen zu sein.

Zum Einbruch der Grünen bei den Auslandschweizer:innen sagt Mousson: "Ich glaube nicht, dass die Grünen etwas falsch gemacht haben." Die Leseweise sei, dass grüne Themen von anderen überlagert wurden.

"Generell profitieren in unsicheren Weltlagen rechte Parteien eher. Die Grünen sind wohl Opfer von der Themenkonjunktur geworden", schätzt Mousson ein. Umgekehrt hätten sie vor vier Jahren von der Themenlage profitiert.

Anders als im Inland kann man hingegen nicht sagen, dass die SVP auf Seiten der Auslandschweizer:innen an der Urne triumphiert hat.

Die rechtskonservative Partei, die grösste politische Kraft des Landes, die in diesem Jahr auch am meisten zugelegt hat (+9 Sitze und 27,9% der Stimmen, ein Plus von 2,3 Prozentpunkten), hat auch im Ausland zugelegt. Wenn auch in geringerem Masse: von 18% auf 18.5% der Stimmen in der Diaspora.

Die SVP bleibt die zweitstärkste politische Kraft unter den Auslandschweizer:innen, allerdings mit deutlich niedrigeren Stimmenanteilen als auf nationaler Ebene.

Im Inland beschäftigte die Frage, ob die SVP die 30%-Marke knacken kann. "Sie ist immer wieder nahe dran, hat es aber noch nie geschafft. Es gibt offenbar ein Plafond für die SVP im In- wie auch im Ausland", sagt Mousson. Wie fest dies in Stein gemeisselt sei, werde erst die Zukunft zeigen.

Aber die Auslandschweizer:innen seien eher als liberales bis linkes Wahlpublikum bekannt. "Das ist nichts Neues, das hat Tradition. Deshalb überrascht es mich nicht, dass der Anstieg bei den SVP-Stimmen nicht grösser ausgefallen ist", so Mousson.

Insgesamt bestätigt das Wahlverhalten der Diaspora bei den Parlamentswahlen die Tendenz, dass diese Wählerschaft linker und grüner wählt als die inländische Bevölkerung.

Die wichtigsten linken Parteien (SP und Grüne) erhielten zusammen fast 39% der Stimmen (gegenüber 28,1% in der Schweiz), während die grünen Parteien (Grüne und Grünliberale) im Ausland zusammen auf 30% kamen (gegenüber 17,4% in der Schweiz).

Bei den anderen Parteien bleiben die Werte relativ stabil. Die Mitte gewann 0,9 Prozentpunkte hinzu und übertraf damit den landesweiten Zuwachs von 0,3%. Die FDP verlor 0,6 Prozentpunkte (gegenüber 0,8 in der Gesamtschweiz).

Die Wahlbeteiligung der Auslandschweizer:innen war wie so oft tief: Sie betrug insgesamt 18,7% und war in fast allen Kantonen mit Ausnahme von Basel-Stadt und St. Gallen rückläufig. In einer am 24. Oktober verbreiteten Mitteilung hält die Auslandschweizer-Organisation (ASO) fest, dass es sich dabei um zwei der drei Kantone handelt - der dritte ist Thurgau, die dieses Jahr elektronisch wählen konnten. Die ASO, die sich für das E-Voting für Auslandschweizer einsetzt, sieht darin eine Bestätigung dafür, dass damit die Wahlbeteiligung der Fünften Schweiz erhöht werden kann.

Im Inland hingegen stieg sie im Vergleich zu 2019 leicht an, von 45,1% auf 46,6%.

Keine Auslandschweizer:innen unter den Gewählten

43 Auslandschweizer:innen sind bei den eidgenössischen Wahlen 2023 angetreten. Es ist zwar wenig überraschend, dass keine:r der Kandidat:innen gewählt wurde, zwei Auslandschweizer stechen mit ihren Resultaten jedoch heraus.

Am meisten Stimmen holte im Kanton Bern Pascal Cuttat aus Nairobi. Ganze 12'451 Berner:innen haben für den 61-jährigen SP-Mann gestimmt. Weil Cuttat, der beim Schweizerischen Roten Kreuz arbeitet, auf der Hauptliste der Berner SP-Männer-Liste aufgeführt war, ist das gute Resultat im Vergleich zu den anderen Auslandschweizer:innen nachvollziehbar.

Auf seiner Liste weist Cuttat hingegen das schlechteste Resultat aus. Die SP ist die zweitstärkste Partei im Kanton Bern, sie holte 5 Sitze.

In Genf erzielte der Grüne Rudolf Berli aus Frankreich einen Achtungserfolg. Mit 11'947 Stimmen platzierte er sich auf dem zweiten Ersatzplatz auf der Liste der Grünen. Der Gemüsebauer aus dem französischen Pougny erhielt alleine aus der Stadt Genf 4271 Stimmen und aus dem Ausland 999.

Zum Vergleich: Im Kanton Genf sind die bisherigen Nationalrät:innen Delphine Klopfenstein Broggini mit 15'549 Stimmen und Nicolas Walder, der auch Auslandschweizerrat ist, mit 15'271 Stimmen gewählt.

Der letzte gewählte Nationalrat aus dem Ausland war Tim Guldimann für die SP im Kanton Zürich. Er erzielte 2015 ein Glanzresultat und holte sich 102'757 Stimmen. Er war damals nicht der erste Auslandschweizer im Parlament, aber der erste, der als Auslandschweizer gewählt wurde. Guldimann trat 2018 zurück. Seinen Rücktritt begründete er damit, dass es schwierig sei, "in einem Milieu zu leben und in einem anderen Milieu Politik zu machen".

In der Praxis haben Auslandschweizer:innen kaum Chancen, gewählt zu werden, dies bestätigt auch Ariane Rustichelli von der Auslandschweizer-Organisation ASO. "Der Fall Guldimann war ziemlich aussergewöhnlich", so Rustichelli.

Die Forderung, dass die Fünfte Schweiz eine direkte Vertretung im Parlament habe, werde immer wieder erhoben. "Die ASO hat eine Arbeitsgruppe, die dies unterstützt", so Rustichelli. Weil es dazu eine Verfassungsänderung geben müsste, hätte diese Forderung jedoch noch keinen Erfolg gehabt.

Dieser Artikel wurde am 25. Oktober mit der Einschätzung der ASO über eine erhöhte Wahlbeteiligung durch E-Voting ergänzt.

Grüne verlieren auch in Fünfter Schweiz

Sind grüne Parteien in Europa an eine "gläserne Decke" gestoßen?

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Nach der Niederlage der Grünen und der Grünliberalen bei den eidgenössischen Wahlen - sie verloren 11 Sitze in der Bundeskuppel - stellt sich die Frage, ob die grünen Parteien vor einer gläsernen Decke stehen. Mehrere Spezialisten bestätigen diese These auf europäischer Ebene.

Forscher haben nämlich gezeigt, dass sich grüne Parteien in einem Teil Europas "ziemlich schnell als wichtige politische Akteure etabliert haben", dass diese Parteien aber tatsächlich nur selten eine gläserne Decke von 10% bei Wahlen überschreiten.

Für Simon Persico, Professor für Politikwissenschaft an der Sciences-Po Grenoble und im Pacte-Labor, der in La Matinale des RTS interviewt wurde, gibt es ein klares Zeichen dafür, dass diese Schwelle noch unüberwindbar ist.

"Kein Umweltschützer als Chef der Exekutive einer Regierung"

"Sicher ist, dass es bis jetzt noch keinem Grünen gelungen ist, Chef der Exekutive einer nationalen Regierung zu werden. Sie sind in die Parlamente eingezogen, sie sind in die Regierungen eingezogen, aber es gelingt ihnen nicht, Chef der Exekutive zu werden. Und das ist eindeutig ein Hinweis auf eine Art gläserne Decke, die sie nicht erfolgreich durchbrechen können".

In den letzten Jahren, insbesondere zwischen 2018 und 2021, haben die grünen Parteien in der Schweiz und anderswo in Europa jedoch starke Durchbrüche erzielt und historische Rekorde aufgestellt.

Dieser Erfolg wäre vor allem auf die Mobilisierungen der Bevölkerung nach der Unterzeichnung des Pariser Abkommens im Jahr 2015 und den Aufschwung der Klimastreiks zurückzuführen.

Nach der grünen Welle kommt die Brandung

Aber nach dem Hochwasser kommt das Nachlassen, ein Nachlassen, das in den letzten Monaten in Finnland, Schweden oder den Niederlanden zu beobachten war, wo die anti-ökologischen Parteien an Boden gewonnen haben.

In den Niederlanden zum Beispiel wurde die Bauern-Bürger-Bewegung bei den Provinzwahlen im März zur stärksten Partei. Die Partei entstand nach Protesten von Landwirten gegen die Umweltpolitik der Regierung.

"Tatsächlich zeigen die Wahlen, die wir seit 2022 und 2023 sehen, eine Art Rückschlag im Vergleich zu diesem Durchbruch von 2018-2020", stellt Simon Persico fest.

Konservative Thematisierung und ungünstige Kontexte

"Es ist so, dass die rechtsextremen Parteien tatsächlich Fragen politisieren, die mit Identität, Islam und Einwanderung zusammenhängen, Fragen, die sehr stark sind, um die Debatten in nationalen Kampagnen zu strukturieren. Die Grünen, zu den Themen Einwanderung, Unsicherheit und Islam, haben keine guten Ergebnisse erzielt. Sie schneiden gut ab, wenn es um die Umwelt, die globale Erwärmung und den Kampf gegen Ungleichheit geht", analysiert der Politologe.

In den letzten Jahren hat auch Europa mehrere Krisen durchlebt: eine Pandemie, den Krieg in der Ukraine und die Inflation. Diese Krisen haben die Reihenfolge der Prioritäten verändert.

Eine Ökologie, die als "Strafe" wahrgenommen wird

Pauline Plagnat-Cantoreggi, Lehrbeauftragte am Institut für Umweltwissenschaften der Universität Genf, ist der Ansicht, dass sich die Bevölkerung der globalen Erwärmung und ihrer Folgen bewusst geworden ist, dass die politische Ökologie jedoch als strafend oder nicht konkret und pragmatisch genug wahrgenommen werden kann.

"Das spiegelt sich sehr stark in den Umfragen wider, die man sehen kann, wo [...] wir fast 80% der Bevölkerung haben, die glauben, dass die Klima-Herausforderung an erster Stelle der Sorgen steht. Nun ist es eine Sache, sich des Problems bewusst zu sein, und eine andere, auf seiner individuellen Ebene handeln zu wollen, die Gesamtheit der Maßnahmen zu sehen, die es erfordert", erklärt die Lehrerin.

"Die Frage ist, ob der Rückgang der Stimmen darauf zurückzuführen ist, dass man festgestellt hat, dass die geforderten Anstrengungen zu hoch sind, oder ob man im Gegenteil festgestellt hat, dass die Verantwortung für die Umwelt nicht nur bei den Grünen liegt, sondern auch bei anderen politischen Parteien", fragt sie. "Es gibt eine Angst, dass diese Umweltprogramme größere soziale Spaltungen verursachen", fügt Pauline Plagnat-Cantoreggi hinzu. Und dann ein Pessimismus darüber, wie wir es schaffen werden", schloss sie.

So würden die grünen Parteien für einen Teil der Bevölkerung zu viel tun. Für einen anderen Teil - der manchmal auf Autobahnen und in Kreisverkehren anzutreffen ist - würden sie nicht genug tun. Dies ist auch eine der Erklärungen für die schwer zu durchbrechende "gläserne Decke".

Aber auch wenn sie derzeit rückläufig sind, erinnert Simon Persico daran, dass die grünen Parteien pro Jahrzehnt etwa zwei bis drei Prozentpunkte hinzugewinnen. Ein leichter Anstieg, der jedoch einen langfristigen Trend erkennen lässt.

Liegen mehr als 10% nicht drin?

Finden Sie heraus, wo Sie stehen

Vor vier Jahren trug die Klimabewegung «Fridays for Future» zum Wahlerfolg der Grünen bei. Inzwischen hat das Thema aber seine mobilisierende Kraft verloren.

An Hitzerekorden und Wetterextremen hat es auch dieses Jahr nicht gefehlt. Doch anders als 2019 hat das den Grünen dieses Mal bei den Wahlen nicht geholfen. Das hat sich schon vor dem Wahltag abgezeichnet. Zwei Klimaaktivistinnen erklären im SRF-Podcast «Einfach Politik», was sich im Vergleich zu den letzten Wahlen verändert hat und wieso die Klimabewegung das Vertrauen in die Politik verloren hat.

Klimathema mobilisiert weniger

Bei den Wahlen 2019 gab es eine echte grüne Welle, aber es wird schwierig sein, sie zu wiederholen, meint der Politikwissenschaftler Claude Longchamp

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Die Grünen haben in der vergangenen Legislatur fast alle kantonalen Wahlen gewonnen, mit der wichtigen Ausnahme von Zürich. Sie gewannen fast 50 Sitze, was das parteiinterne Vertrauen stärkte. Dies war die Spitze für die Grüne Partei in der letzten Legislaturperiode, so der Politikwissenschaftler Claude Longchamp, der uns im Vorfeld der Bundestagswahlen im Oktober auf eine Reise durch die grossen Parteien mitnimmt.

Der Flop hingegen war die Niederlage gegen die SVP im Kampf um das CO2-Gesetz, weniger als zwei Jahre nach dem Wahljahr 2019, in dem viel über das Klima geredet wurde und das die Partei begünstigte. Zweifellos war diese verlorene Schlacht der bedrückendste Moment für sie.

Was die Zukunft angeht, "ist man heute eher skeptisch, dass die Grünen noch zuzulegen wissen. Wenn eine Partei sechs Prozentpunkte gewinnt, ist es schwierig für sie, auf einem bestimmten Niveau zu bleiben. Das Ergebnis von 2019 zu wiederholen oder zu übertreffen, halte ich für eher unwahrscheinlich."

Wie immer werden die Wähler das letzte Wort haben.

Tops und Flops der Grünen

Der Aktivist und Journalist Hugo Clément wollte in Frankreich mit der extremen Rechten über Ökologie sprechen. Das löste in unserem Nachbarland im Frühjahr Kontroversen aus. Grüne Politik wird aktuell oft mit linker Politik gleichgesetzt, teils auch in der Schweiz. Aber ist das zwingend? 

Die Aussage von Karin Ingold ist klar: "Ökologie ist immer weniger eine Sache der Linken. Wenn wir in der Schweiz Mehrheiten in der Klimapolitik erreichen wollen, müssen wir ein breiteres Spektrum ansprechen und nicht nur die Linke unterstützen", resümiert die Politikwissenschaftlerin von der Universität Bern und Spezialistin für Umweltgovernance im RTS-Podcast "Le Point J".

"In der Schweiz waren es nicht die politischen Parteien, sondern die Verbände, die historisch gesehen die ersten Umweltdebatten angestossen haben", erklärt Karin Ingold. Das politische System der Schweiz mit seinen Instrumenten der direkten Demokratie und der Notwendigkeit von Kompromissen führt dazu, dass Ökologie nicht mehr ausschliesslich ein linkes Thema ist. Dies führte zum Entstehen der Grünliberalen Partei.

Es gibt eine Allianz zwischen Ökologie und einer liberalen Vision. Man kann sich sogar eine Ehe zwischen Ökologie und Rechtsextremismus vorstellen, aber diese Kombination ist in der Schweiz die Ausnahme.

Ist eine Allianz aus Ökologie und rechter Politik vorstellbar? Sind Umweltdebatten in der Schweiz produktiver, wenn sie von gewählten Vertretern der Linken oder der Rechten geführt werden?

Susanne Stöckl

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Thibaut Clémence und das Team von Point J

Ökologie und rechte Parteien

Antonio Hodgers: "Indem wir auf dieser apokalyptischen Zukunft beharren, nehmen wir uns selbst die Lebensperspektiven"

Die alarmistischen Reden zum Klimawandel sind kontraproduktiv, sagt Antonio Hodgers im Mai bei RTS. In einem veröffentlichten Manifest plädiert der grüne Genfer Staatsrat stattdessen für eine "Ökologie der Hoffnung".

Antonio Hodgers ist überzeugt, dass wir zugunsten des Klimas handeln müssen. Das Problem liegt seiner Meinung nach in der Art und Weise, wie die Situation der Bevölkerung präsentiert wird. Seiner Meinung nach führen katastrophale Geschichten nicht zu einer kollektiven Mobilisierung.

Durch das Aufzeigen von katastrophalen Tatsachen, wie zum Beispiel dem Abschmelzen der Eiskappen, werden sie vom menschlichen Gehirn in den Hintergrund gedrängt. "Wenn man einmal, zweimal, dreimal Alarm schlägt, kommen die Leute nach einer Weile nicht mehr", fasst er zusammen.

"Die Ökologie macht nicht mehr so viele Fortschritte", sagt Antonio Hodgers. Dieses Phänomen lässt sich seiner Meinung nach durch diese schlechte Strategie erklären, da apokalyptische Reden bei einigen Bürgern eine Abwehrreaktion hervorrufen können.

"Werden wir mehr Menschen überzeugen, indem wir ihnen Angst machen, oder werden wir nur die Aktivisten füttern, die schon sehr mobilisiert sind?", fragt er sich. Der grüne Politiker schlägt stattdessen vor, eine positive Vision der Ökologie zu haben. "Wenn wir diese ökologische Umstellung zu einem spannenden Projekt machen, werden wir unsere Mitgliederzahl erhöhen und die notwendigen Veränderungen vornehmen können", glaubt er.

Antonio Hodgers' Traum wäre es, die Grüne Partei zu einer "grossen, breit aufgestellten Mittelschichtspartei zu machen, die auf Offenheit und ökologischer Verantwortung basiert". Seiner Meinung nach würde die jetzigen Ansprachen einer militanteren Wählerschaft und einen engeren Bereich der Ökologie betreffen.

Wenn wir diesen ökologischen Wandel zu einem spannenden Projekt machen, werden wir die Zahl unserer Mitglieder erhöhen und die notwendigen Veränderungen vornehmen können

Und Antonio Hodgers verdteht die Öko-Angst, unter der einige junge Menschen leiden, jedoch ist er der Meinung, dass es nicht die Aufgabe einer politischen Partei ist, diese Angst zu schüren. Wir müssen sie ermutigen, sich zu engagieren, aber gleichzeitig müssen wir den festlichen Aspekt dieses Engagements betonen.

Der Genfer erinnert sich an seinen Eintritt in die Grüne Partei im Jahr 1997. "Es war eine Art Idee: Wir werden weniger Öl verbrauchen, wir werden weniger materialistisch sein, wir werden mehr freie Zeit mit unseren Freunden verbringen und wir werden Party machen", erinnert er sich. "Vielleicht war es ein bisschen naiv, aber das Glücksgefühl und der Spass waren da", fährt er fort. Antonio Hodgers ist der Meinung, dass "wir durch unser Beharren auf dieser apokalyptischen Zukunft die Lebensperspektiven wegnehmen".

Antonio Hodgers unterstreicht die Tatsache, dass es im Bereich der Ökologie einige gute Nachrichten gibt. Er erwähnt insbesondere seinen Kanton Genf, der den CO2-Ausstoss pro Person in den letzten 30 Jahren um 30% reduziert hat. "Wir haben die Wende eingeleitet. Wir müssen den Menschen sagen, dass sich die Anstrengungen auszahlen", schwärmt er. Auch in Bezug auf die Artenvielfalt gibt es Erfolge zu verzeichnen: "Wir konnten die Buckelwale im Atlantik retten", freut er sich.

Der IPCC-Bericht beschreibt zwar beunruhigende Aussichten, aber es sei kein Szenario für das Verschwinden der Menschheit. "Das heisst aber nicht, dass es nicht hart wird und dass nicht etwas auf dem Spiel steht", relativiert der Staatsrat. Er ist jedoch zuversichtlich, dass wir trotz der Schwierigkeiten, insbesondere in den Bereichen Wasser und Landwirtschaft, in der Lage sein werden, uns anzupassen. Für die Genfer Grünen "muss man bei jedem Projekt für die Gesellschaft sagen: Der Weg wird hart sein, er ist eine echte Lebensprüfung, aber wenn wir ihn durchlaufen haben, werden wir als Gesellschaft und als Individuen gewachsen sein".

Wir müssen den Menschen sagen, dass sich die Anstrengungen auszahlen

Die westlichen Länder müssten daher in der Lage sein, sich diesen Herausforderungen zu stellen. "Wir haben die finanziellen Mittel und die geografische Lage, die es uns ermöglichen, uns anzupassen". Dies könnte für "einige Populationen in Halbwüstenklimata oder auf kleinen Inseln in Deltas" komplizierter sein, sagt Hodgers. "Dort wird es so weit sein, dass sie weitgehend abwandern müssen."

Eine Frage der internationalen Solidarität

Hinter der globalen Erwärmung stecke also eine echte Frage der internationalen Solidarität, so der grüne Staatsrat. "Ich finde, dass wir nicht viel darüber reden", erklärt er, "denn Angst ist ein Spiegelbild der eigenen Person: Ich habe Angst um mich selbst, um meine Kinder. Das nenne ich 'Egologie'".

Antonio Hodgers nimmt ein Beispiel für eines der ziemlich harten Szenarien des IPCC. "Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte das Schweizer Mittelland das Klima von Süditalien um Neapel haben". Dies wäre ein Problem für die Landwirtschaft und die Wärmeinseln, aber der Ökologe ist überzeugt, dass sich die Schweiz anpassen könnte.

"Aber wir können auch sehen, dass, wenn wir das Klima von Neapel haben, Neapel das Klima von Marrakesch haben wird und Marrakesch das Klima der Sahara", fährt er fort, "und deshalb ist eine der grossen Herausforderungen dieser globalen Erwärmung die internationale Solidarität".

Antonio Hodgers prangert auch das Gegenteil an, eine "Ökologie der Abschottung". "Die SVP sagt, sie wolle die Zuwanderung begrenzen, weil sie die Schweiz zubetoniere. Sie versuchen also, den Ausländern die Umweltbelastung aufzubürden", beklagt er. "Wir müssen aufpassen, dass die Ökologie nicht zu einem Vorwand für eine nach innen gerichtete Haltung und einen zu starken Protektionismus wird.

Der Staatsrat bedauert auch, dass dem Einzelnen ein schlechtes Gewissen eingeredet wird. Ihm zufolge wird der Wandel durch das Kollektiv kommen. Wir brauchen eine staatliche Regulierung. "Es ist gut, das Licht auf dem Weg nach draussen auszuschalten. Aber wenn unsere Infrastruktur, alle Gebäude und das Verkehrsnetz zu kohlenstoffintensiv sind, kann man zwar persönlich sehr grün sein, aber die strukturellen Emissionen des Landes nicht kompensieren", erklärt er.

Andererseits, so meint er, "wenn wir in einer Gesellschaft leben, in der wir die richtigen Investitionen getätigt haben, in der alle Gebäude isoliert sind, in der alle Menschen den Zug statt das Auto nehmen können, wenn wir in einer Gesellschaft der kurzen Wege für Lebensmittel leben... Kurz gesagt, wenn wir wirklich eine ökologische Gesellschaft sind, dann ist uns die Ökologie egal. Es ist eine Befreiung".

"Alarmismus ist kontraproduktiv"

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